
Gin: Englands Beliebtester
Gin und kein Ende – seit etwa einem Jahrzehnt boomt der Wacholderschnaps und immer neue Kreationen strömen auf den Markt. Dies ist jedoch längst nicht die erste Beliebtheitswelle: In den vergangenen Jahrhunderten erfreute sich der Gin gerade in England teilweise derart großer Popularität, dass sich der Gesetzgeber gezwungen sah, einzuschreiten.
London Dry Gin ist die vielleicht bekannteste aller Gin-Varianten, doch bevor die Engländer den modernen Gin definierten, waren Gin-ähnliche Getränke vor allem auf dem Kontinent verbreitet. Erste Spuren eines Gin-Vorläufers finden sich in Salerno, Italien, wo Mönche bereits Mitte des 11. Jahrhunderts ein Destillat aus Wein und Wacholderbeeren herstellten – das allerdings weniger zum Genuss als primär dafür gedacht war, die Urinproduktion anzukurbeln. Bis in die Neuzeit hinein dienten Wacholderdestillate vor allem als medizinische Produkte. Die Niederländer waren wohl die ersten, die das Getränk für den Genuss entdeckten. Ab dem 17. Jahrhundert etwa nahm die heimische Genever-Produktion an Fahrt auf.
Krieg dem Brandy
Kontakte mit Genever hatten englische Soldaten bereits Ende des 16. Jahrhundert während des Achtzigjährigen Krieges. Eine dauerhafte Präsenz auf der Insel erlangte das Getränk durch Wilhelm von Oranien alias William III. Der Niederländer bestieg 1689 den britischen Thron und brachte Genever aus seiner Heimat mit. Der König begann auch gleich einen Handelskrieg mit den verfeindeten Franzosen, mit dem Ergebnis, dass französischer Brandy – bis dahin für viele die Spirituose der Wahl – deutlich teurer wurde. Gleichzeitig förderten Steuerermäßigungen die Herstellung von Branntwein aus britischem Getreide.
Aus dem niederländischen Genever wurde britischer Gin – bösen Zungen zufolge, weil die Konsumenten im betrunkenem Zustand nur noch die erste Silbe aussprechen konnten. Ihren Ursprung haben beide Namen im lateinischen Juniperus, der Bezeichnung für Wacholder. Der englische Gin dieser Zeit war allerdings weniger für ein feines Wacholderaroma bekannt. Terpentin, Schwefelsäure oder Sägemehl waren nur einige Zutaten, die dem Getränk zugefügt wurden. Und Zucker, der den groben Geschmack abmildern sollte.
Liebling der Königin
Als der Preis von Gin schließlich auf den Preis von Bier fiel, gab es in England kein Halten mehr. Auch die ärmere Bevölkerung stürzte sich auf den Gin, was gerade in London drastische Auswirkungen hatte. Nicht nur pflasterten Schnapsleichen die Straßen, die Sterberate überstieg zeitweise auch die Geburtenrate. Mit mehreren Gesetzen im Laufe des 18. Jahrhunderts versuchte die Regierung, der „Gin-Craze“ Einhalt zu gebieten. Höhere Steuern und die Einführung von Schanklizenzen senkten den Konsum schließlich auf ein verträglicheres Maß.
Die Erfindung des Säulenbrenners in den 1830er-Jahren war der Startschuss für die Entwicklung zur Qualitätsspirituose. Der eher süße Old Tom Gin machte dem trockeneren London Dry Gin Platz. Heute ist Gin wohl die Craft-Spirituose schlechthin mit unzähligen kleinen und großen Destillerien, die ihre Produkte anbieten. Die Verbindung zum englischen Königshaus blieb erhalten: Queen Mum war eine ausgewiesene Gin-Kennerin und ihre Tochter Queen Elizabeth II. trank am liebsten Gin Dubonnet. Kein Wunder also, dass die Briten nach ihrem Tod am liebsten damit auf ihre langjährige Monarchin anstießen.
Ausflugstipp: The Distillery London
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Die Destillerie in Londons berühmtem Stadtteil Notting Hill ist nicht nur Heimat des Portobello Road Gin, sondern bietet im Ginstitute auch das ultimative Erlebnis für alle Gin-Liebhaber. Hier erfahren Besucher alles über die turbulente Geschichte des Gins, bevor sie aus diversen Botanicals ihren ganz eigenen Gin kreieren und mit nach Hause nehmen können.
TITELFOTO: © Soul van Schaik, Unsplash | BILDLEGENDE: Der London Dry Gin ist der Klassiker unter den vielen Gins.